Wissenschaftliche Weltsicht 2.0

Zu Zeiten Galileo Galilei's wurde die wissenschaftliche Weltsicht geboren mit der Grundidee: "Das Verhalten des Universums wird durch Naturgesetze bestimmt, die wir durch genaues Messen und Beobachten finden und mit Hilfe der Mathematik ausdrücken können."

Nachdem der Zufall aufgetaucht war, musste die Grundidee der wissenschaftlichen Weltsicht neu formuliert werden. Zwar konnte man das Verhalten des Universums immer noch mit Hilfe der Mathematik beschreiben, aber eben nicht mehr vollständig vorherbestimmt. Die angepasste Grundidee der wissenschaftlichen Weltsicht lautet deshalb:

"Das Verhalten des Universums wird von Naturgesetzen und Zufällen bestimmt."

An dieser Stelle lässt sich gut der wesentliche Unterschied zwischen wissenschaftlicher und religiöser Weltsicht darstellen. Kommen wir dazu noch einmal zurück auf das "Mensch-Welt-Modell" (das eigentlich ein Ich-Welt-Modell sein müsste):

Der Mensch versucht das Verhalten der Welt zu verstehen, um dann sein eigenes Verhalten so auf das Verhalten der Welt abzustimmen, dass seine Ziele, Wünsche und Bedürfnisse erfüllt werden. Wenn nun in der wissenschaftlichen Weltsicht das Verhalten der Welt von Naturgesetzen und Zufällen bestimmt ist, wie würde man ein solches Verhalten einschätzen? Wieviel Sinnhaftigkeit würde man ihm zubilligen? Wie vertrauenswürdig ist ein solches Verhalten? Wie sehr kann ein solches Verhalten den eigenen Interessen entsprechen?

Die Antwort ist eindeutig: Wenn sich die Welt dermaßen "dämlich" verhält (Zufälle, Naturgesetze), dann muss man sich um alles selbst kümmern. Die Welt wird einem nicht entgegenkommen.

In religiösen Weltsichten hingegen, wird das Verhalten der Welt von einem Gott bestimmt. Ein Gott ist auch eine Form von Bewusstsein und Intelligenz. Das Verhalten der Welt könnte daher durchaus Züge von Sinnhaftigkeit aufweisen. Je nachdem, wie man den Gott einschätzt, könnte man vielleicht sogar Vertrauen in das Verhalten der Welt entwickeln. (Tatsächlich ist das eine der wichtigsten Botschaften in allen Religionen und Weisheitslehren: "Ihr könnt der Welt um Euch herum vertrauen." Die Kirche hat das zwar an allerlei Bedingungen geknüpft, aber Martin Luther hat das dann immerhin wieder ein bisschen geradegerückt.)

Der wesentliche Unterschied zwischen religiösen Weltsichten und der wissenschaftlichen Weltsicht ist also der:

In einer religiösen Weltsicht wird dem Verhalten der Welt ein gewisses Maß an Intelligenz und Sinnhaftigkeit zugebilligt, während das Verhalten der Welt in der wissenschaftlichen Weltsicht vollkommen "dumm" ist. Zufälle und Naturgesetze erzeugen keinen Sinn und insbesondere Zufällen kann man auch nicht vertrauen.

Schauen wir uns nun einen weiteren Aspekt in der Funktionsweise der menschlichen Psyche an. (Ich sage an dieser Stelle bewusst "Psyche" und nicht "Verstand", weil ich die Funktion, um die es im Folgenden geht für nicht ausschließlich rational halte. "Psyche" verwende ich als Oberbegriff und der Verstand ist ein Teil der Psyche, nämlich der rationale Teil):

Ich hatte bereits dargelegt, wie der Mensch mit Hilfe seines Verstandes eine Weltsicht entwickelt, die ihm hilft, sein Verhalten optimal auf seine Ziele abzustimmen. Im Zuge dieses Vorgangs, wenn es ganz konkret darum geht, ein bestimmtes Verhalten auf der Grundlage der Weltsicht einzusetzen, erstellt die Psyche Zukunftsprognosen. Ich bezeichne diesen Vorgang als "Zukunftsprojektion":

Die Psyche simuliert die weitere Entwicklung und projiziert den Zustand der Gegenwart mit Hilfe ihrer Weltsicht in die Zukunft. Die Psyche versucht die weitere Entwicklung des Verhaltens der Welt möglichst genau abzuschätzen. Das funktioniert im Grunde wie der Wetterbericht, nur dass es sich auf alle bedeutsamen Aspekte des Lebens bezieht. Die Zukunftsprojektion ist wie ein Scheinwerfer, mit dem die Psyche den unmittelbar vor ihr liegenden Lebensweg ausleuchtet.

Nachdem die Zukunftsprognose erstellt wurde, erfolgt eine Bewertung: "Ist das nun gut oder schlecht für mich?" "Gut" (positiv) bedeutet: "Die vorausberechnete weitere Entwicklung entspricht meinen Interessen." Und "schlecht" (negativ) bedeutet "entspricht nicht meinen Interessen".

Wenn die Prognose negativ ausfällt bedeutet das in der Regel: "Ich muss aktiv werden, um die negative Entwicklung abzuwenden."

Wie schon gesagt wird die Zukunftsprojektion ganz wesentlich von der Weltsicht bestimmt. Wenn die Weltsicht nun besagt, dass das Verhalten der Welt von Naturgesetzen und Zufällen bestimmt wird, wie werden die Prognosen dann wohl ausfallen?

Genau! Sie fallen überwiegend negativ aus. Die wissenschaftliche Weltsicht führt dazu, dass die Psyche überwiegend negative Zukunftsprojektionen hervorbringt mit der Konsequenz, dass Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen.

Die Zukunftsprojektionen haben für die Psyche ein sehr hohes Maß an Glaubwürdigkeit, ganz unabhängig davon, ob sie tatsächlich der Realität entsprechen oder eine Fehleinschätzung darstellen. Das hängt ganz unmittelbar damit zusammen, dass der Mensch selbst seine Weltsicht für absolut und unumstößlich wahr hält. Tatsächlich ist es aber ein Fakt, der den meisten Menschen viel zu wenig bewusst ist: Was mit großer Überzeugungskraft wahr erscheint, muss nicht zwangsläufig auch tatsächlich wahr sein.

Ich empfehle dem Leser an dieser Stelle eine kleine praktische Forschungsaufgabe. Sie ist Teil eines bisher nur wenig entwickelten Forschungszweigs, den man als "Selbsterkenntnis" bezeichnen könnte. Es handelt sich nebenbei bemerkt um einen Forschungszweig, der es bisher leider nicht in die wissenschaftliche Weltsicht hineingeschafft hat - zu "unwissenschaftlich" - leider. (Ich weiß, Forschung ist ganz allein Sache der Wissenschaft und der Experten, aber es sollte mir an dieser Stelle doch schon gelungen sein, das Vertrauen in die Wissenschaft ein wenig zu erschüttern und deshalb macht es durchaus Sinn, wieder ein bisschen selbst in die Forschung einzusteigen - deshalb auch "Selbsterkenntnis".) Und nun zur Forschungsaufgabe:

Man versuche mal, im Inneren seiner Psyche den Prozess der Bildung von Zukunftsprojektionen bewusst wahrzunehmen. Es würde sicher nicht schaden, sich darüber ein paar kleine Notizen zu machen - das muss aber nicht unbedingt sein. Und dann wiederum schaue man sich ganz bewusst an, wie die tatsächliche Entwicklung verläuft und inwieweit die tatsächliche Entwicklung mit der ursprünglichen Zukunftsprojektion übereinstimmt.

nächstes Kapitel: Der Darwin'sche Trugschluss (Wissenschaft)