Der Punkt des größten Handlungsdrucks

Wenn der Aktionismus aufgegeben wurde oder die Blockade gegen die Wahrnehmung eines Problems gelöst wurde, dann erfolgt die unmittelbare Konfrontation mit der negativen Zukunftsprojektion. Das schlimmste im Rahmen des Problems Befürchtete scheint nun unaufhaltsam auf den Betroffenen zuzukommen. Das löst einen intensiven emotionalen Prozess aus: Gefühle von Angst und Ohnmacht steigen auf. Der emotionale Prozess muss möglichst ungehindert ablaufen können. Das bedeutet, sich den Gefühlen zu öffnen und sie fließen zu lassen. Die Psyche wird damit ganz bewusst in einen Konflikt hineingeführt, den sie eigentlich im Rahmen der wissenschaftlichen Weltsicht unter absolut allen Umständen meiden würde. Es handelt sich für die Psyche auf diesem Stand der menschlichen Entwicklung um einen vollkommen inakzeptablen Widerspruch. Die Psyche pendelt nun hin und her zwischen dem Verlangen, das Problem entweder auszublenden oder doch irgend etwas dagegen zu unternehmen. Der Widerspruch steigert sich immer weiter bis ins absolute Extrem und bis zu einem Punkt, den ich "den Punkt des größten Handlungsdrucks" nenne. Wenn es gelingt, dem Bedürfnis nach Unterdrückung des Problems und dem Bedürfnis nach Zurückfallen in den Aktionismus über diesen Punkt hinaus zu widerstehen, dann geschieht etwas Erstaunliches und vollkommen Unerwartetes. Es ist genau dieser Vorgang, der in der Mythologie als "Magie" erscheint:

Es kommt zu einer Lösung des Problems, ohne dass diese Lösung durch jahrelanges Mühen hart erarbeitet werden musste.

Mit einem anderen Bild der Mythologie ausgedrückt kommt es zu einem Wechsel der Seiten: heraus aus der mühseligen Alltagswelt voller Probleme und hinein in eine magische Welt voller spannender Möglichkeiten - zumindest einen Teilaspekt des Lebens betreffend.

Der Vorgang ist insgesamt sehr vielschichtig und geht weit über die rationale Ebene hinaus. Die rationale Formulierung von Erkenntnissen ist sogar eher nur ein Nebeneffekt, während das eigentlich Wesentliche dort in der menschlichen Psyche passiert, wo das Verhalten tatsächlich entsteht.

Die wissenschaftliche Weltsicht verharrt in dem unsinnigen Anspruch, der Mensch müsse sein Verhalten möglichst vollständig den rationalen Konzepten seiner Weltsicht unterwerfen, die ihm sagt, was "gesund" und "gut" und "richtig" ist. Aber nahezu niemandem gelingt es, diesem Anspruch auch nur halbwegs gerecht zu werden, weshalb die meisten Menschen in ewigen Schleifen von Versagen, schlechtem Gewissen und guten Vorsätzen festhängen.

Aber der Erkenntnisprozess schlägt dort ein, wo die tatsächlich wirksamen Entscheidungen über das Verhalten fallen.

Konkret läuft der Erkenntnisprozess in mehreren Phasen ab:

  1. Die erste Phase, wenn der Aktionismus eingestellt wird und die Psyche immer tiefer in einen Widerspruch hineingeführt wird, den sie eigentlich nicht lösen kann, nenne ich die "Krise". Dieser Schritt verlangt Mut. Man lässt sich auf etwas ein, das auf rationaler Ebene falsch zu sein scheint. Je weiter man in dieser Phase geht, um so mehr spitzt sich der Widerspruch in der Psyche zu.
  2. Dann kommt der Höhepunkt der Zuspitzung, den ich "den Punkt des größten Handlungsdrucks" nenne, weil hier das Bedürfnis, in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, seinen Höhepunkt erreicht.
  3. Wenn der Punkt des größten Handlungsdrucks überschritten wird, kommt es zur Entspannung. Das ist das Zeichen, dass der Prozess funktioniert hat. Der Widerspruch und der Druck, die sich zuvor immer weiter gesteigert hatten, verschwinden einfach. Man fühlt sich vielleicht etwas erschöpft, aber im Großen und Ganzen gut. Ein wesentliches Kennzeichen dieser Phase ist entspannte Gelöstheit.
  4. Die letzte Phase ist die eigentliche Erkenntnisphase, die sich wie schon gesagt auf mehrere Ebenen bezieht:

Die genaue Ausprägung der letzten Phase ist sehr unterschiedlich in einer Bandbreite von sofortiger, knallartiger, von explosionsartiger Freude begleiteter Erkenntnis bis hin zu einem nahezu unbemerkten Einschleichen von Veränderungen über Tage oder Wochen hinweg.

Allen Szenarien ist aber gemeinsam, dass das Problem nun gelöst wird. Dabei lassen sich 2 Arten von Lösung unterschieden:

  1. Es handelt sich um ein tatsächliches Problem, für das nur keine Lösung bekannt war.
  2. Die Weltsicht hat ein Scheinproblem hervorgebracht, das in der Realität gar nicht existiert

Im ersten Fall kann nun die tatsächlich wirksame Lösung umgesetzt werden, nachdem der Erkenntnisprozess diese Lösung hervorgebracht hat. Im zweiten Fall löst sich das Problem durch den Erkenntnisprozess einfach rückstandsfrei auf. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Erkenntnisprozess auf die Überwindung übertriebener Ängste angewandt wird.

nächstes Kapitel: Die negativen Zukunftsprojektionen sind falsch (Erkenntnis)